MD Niklas Marizy
Arzt und Head of Medical bei Adon Health
Hormonelle Schwankungen: Die Höhen und Tiefen des Testosteronspiegels verstehen
Inhaltsverzeichnis
Wenn man umgangssprachlich von den „Tagen des Mannes“ spricht, sind nicht wöchentliche oder monatliche Schwankungen gemeint, wie sie bei Frauen auftreten. Stattdessen bezieht es sich auf die tageszeitlichen Schwankungen des Testosteronspiegels bei Männern, die im Laufe eines Tages zu- und abnehmen. Dass auch männliche Hormone Zyklen folgen, wurde im Rahmen der sogenannten Mars-500 Beobachtungsstudie im Jahr 2012 definitiv festgestellt. Es konnte ein Hormonzyklus bei Männern bei dem Steroidhormon Aldosteron beobachtet werden (28-Tage Zyklus). Für die Hormone Testosteron und Cortisol konnten aus den Daten aber nur Vermutungen zu einem 7- oder 14-tägigen Zyklus abgeleitet werden (Rakova et al., 2013).
Neben natürlichen Schwankungen im Tagesverlauf kann es aber auch altersbedingt, durch Lebensstilfaktoren, und durch Begleiterkrankungen zu einem Abfall oder zu Schwankungen des Testosteronspiegels kommen. Diese Schwankungen können erheblichen Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit von Männern haben. In diesem Artikel untersuchen wir die Ursachen und Auswirkungen dieser Schwankungen sowie ihre Bedeutung für die Diagnostik von Testosteronwerten, um ein umfassenderes Verständnis dieses wichtigen Hormons zu ermöglichen.
Ursachen von Testosteronschwankungen
Testosteronschwankungen können nicht nur durch den sogenannten „zirkadianen Rhythmus“ im Tagesverlauf verursacht werden, sondern auch durch steigendes Alter, Lebensstilfaktoren und Begleiterkrankungen. Diese Schwankungen können einen erheblichen Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit von Männern haben.
Die Tagesschwankungen durch den zirkadianen Rhythmus
Wie bereits erwähnt, verläuft der männliche Testosteron-Zyklus tageszeitabhängig. In der Regel sind die Testosteronwerte am Morgen höher und nehmen im Laufe des Tages ab (Brambilla et al., 2009). Dieses tägliche Muster, bekannt als zirkadianer Rhythmus, ist auch bei der Planung von Bluttests zu berücksichtigen, um konsistente und vergleichbare Ergebnisse zu erhalten. Die Tagesschwankungen durch diesen Rhythmus des Körpers führen tatsächlich zu relevanten Unterschiedenen der Testosteronwerte. Am Abend weisen dieselben Testpersonen bis zu 12,9% niedrigere Testosteronwerte auf. Diese Schwankung wird als intraindividuelle biologische Variation im Tagesverlauf bezeichnet. Eine Studie von Collier et al. (2010) zeigt, dass der Testosteronspiegel im Blutserum am Nachmittag um 1,5 nmol/l (43 ng/dl) niedriger war als am Morgen.
Die Tageszeit ist also ein sehr relevanter Faktor für die Höhe des Testosteronspiegels. Aus diesem Grund sollte die Messung des Testosteronwertes im Blut für eine bessere Vergleichbarkeit immer zur gleichen Uhrzeit morgens erfolgen.
Der Einfluss des Lebensstils
Darüber hinaus können diese natürlichen Schwankungen im Tagesverlauf weiter durch Schlafmuster, Ernährung und körperliche Aktivität beeinflusst werden. So lag die intraindividuelle biologische Variation zwischen verschiedenen Tagen für morgendliches Serumtestosteron sogar bei 18,7%, also noch größer als rein durch die Tageszeit bedingt. Hier kommen nun die Lebensgewohnheiten wie chronischer Stress, Schlafmangel, Bewegungsmangel und der Konsum schädlicher Substanzen wie Alkohol zu tragen (Collier et al., 2010).
Stress: Stress ist ein bedeutender Faktor, der den Testosteronspiegel auch dauerhaft beeinflussen kann. Chronischer Stress führt zur Ausschüttung von Cortisol, einem Stresshormon, das die Produktion und Freisetzung von Testosteron hemmen kann. Die Reduzierung von Stress durch Techniken wie Meditation, Yoga oder einfach durch regelmäßige Erholung und Entspannung kann daher einen positiven Effekt auf den Testosteronspiegel haben (Xiong et al., 2021). Akuter Stress hat ebenfalls direkte Auswirkungen auf den Testosteronspiegel, wobei hier auch kurzfristige Steigerungen zusammen mit Cortisol festgestellt werden konnten. Es wird vermutet, dass eine adaptive Rolle von Testosteron im Zusammenspiel mit Cortisol bei akuten Stressphasen besteht (Zueger et al., 2023).
Schlaf: Darüber hinaus kann eine schlechte Schlafqualität den Testosteronspiegel negativ beeinflussen. Ein regelmäßiger, ausreichender und qualitativ hochwertiger Schlaf ist für die Aufrechterhaltung eines gesunden Hormonhaushalts unerlässlich. Forschungen zeigen, dass der Mangel an Schlaf, insbesondere die Reduzierung der REM-Schlafphasen, zu einem signifikanten Rückgang des Testosteronspiegels führen kann (Agrawal et al., 2022).Es konnte sogar gezeigt werden, dass ein akustischer Ton, der die Schlafqualität beeinträchtigt, den Testosteronwert am Morgen erniedrigen kann. Bereits eine Nacht mit schlechtem Schlaf kann sich also schon kurzfristig negativ auf den Testosteronwert auswirken (Ukraintseva et al., 2018).
Bewegung: Während Ausdauersport und Kraftsport steigt der Testosteronspiegel, und oft auch noch einige Zeit über das Training hinaus, bevor er sich wieder einpendelt. Langfristig steigernde Effekte von Sport auf den Testosteronspiegel werden vermutlich vor allem durch einen Gewichtsverlust mitverursacht (Riachy et al., 2020).
Alkoholkonsum: Studien haben mehrfach gezeigt, dass übermäßiger Alkoholkonsum den Testosteronspiegel nachhaltig negativ beeinflusst (Smith et al., 2023). Dabei soll chronischer Alkoholkonsum die Hormonachse bei gesunden Männern hemmen. Die genauen Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und einer Beeinträchtigung der Steroidhormongenese erklären, sind jedoch noch nicht vollständig bekannt (Santi et al., 2023).
Begleiterkrankungen
Neben den bereits genannten Faktoren können auch bestimmte Begleiterkrankungen zu niedrigen Testosteronspiegeln führen. Ein besonders starker Zusammenhang besteht zwischen Diabetes Typ II, metabolischem Syndrom und Testosteronmangel - daher sollte bei diesen Patienten besonders auf den Testosteronspiegel geachtet werden (Traish et al., 2011). In unserem Experten-Blogpost „Warum Diabetiker unbedingt ihren Testosteronwert im Auge behalten sollten“ kannst Du zu diesem Thema weitere Details nachlesen.
Der altersbedingte Testosteronabfall
Mit zunehmendem Alter sinkt der Testosteronspiegel bei Männern. Dieser altersbedingte Testosteronabfall beginnt gewöhnlich zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr (Matsumoto, 2002). In dieser Lebensspanne erfahren Männer einen Rückgang ihres Testosteronspiegels, um ca. 1-2% pro Jahr (Stanworth & Jones, 2008).
Bei diesem Rückgang des Testosteronspiegels handelt es sich um einen Alterungsprozess, ähnlich den Wechseljahren bei Frauen. Allerdings unterscheidet sich diese sog. „Andropause” insofern, als dass der Testosteronabfall graduell und über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt. Hierbei handelt es sich also nicht um eine akute Schwankung des Testosteronspiegels wie zum Beispiel im Zuge des zirkadianen Rhythmus, sondern um eine langfristige Entwicklung. Unabhängig davon ist ein manifester Testosteronmangel im Altern keinesfalls als „normal” anzusehen. Vielmehr handelt es sich dabei um einen krankhaften Zustand, der durch einen ungesunden Lebensstil und damit verbundene Begleiterkrankungen verursacht wird. In unserem Experten-Artikel „Mythen und Fakten über Testosteron“ klären wir im Detail über diesen Mythos auf. Mehr über Testosteronmangel erfährst Du auch in unserem Artikel: „Testosteronmangel beim Mann: Ursachen, Symptome und Lösungen“.
Symptome von Testosteronschwankungen
Ein ausgewogener Testosteronspiegel ist für die Gesundheit von Männern von entscheidender Bedeutung. Testosteron beeinflusst zahlreiche körperliche, psychische und sexuelle Funktionen. Kurzzeitige Schwankungen des Testosteronspiegels sind in vielen Fällen normal, wie zum Beispiel als Reaktion des Körpers auf kurzzeitigen Stress oder Sport. Chronische Veränderungen, wie zum Beispiel durch dauerhafte Schlafprobleme, chronischen Stress oder Alkoholkonsum, können jedoch vielfältige Symptome hervorrufen, die das Wohlbefinden und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Ein Mangel oder ein Ungleichgewicht kann so zu diversen physischen, psychischen und sexuellen Symptomen führen:
- Physische Symptome: Zu den häufigsten physischen Anzeichen gehören Muskelschwäche, Gewichtszunahme und eine verringerte Knochendichte. Männer können so einen Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit bemerken (Wittert et al., 2003).
- Psychische Symptome: Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Depressionen und Konzentrationsprobleme können ebenfalls auf niedrige Testosteronspiegel hinweisen. Diese Symptome können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen (Wang et al., 2000).
- Sexuelle Gesundheit: Ein Verlust der Libido sowie Erektionsprobleme sind häufige Symptome von Testosteronmangel. Diese Probleme können sowohl negative Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden als auch auf intime Beziehungen haben (Hintikka et al., 2009).
Relevanz der Schwankungen für die Diagnostik
Aufgrund der Komplexität der hormonellen Regulation im Körper, beeinflusst durch zahlreiche Faktoren wie Alter, Tageszeit, und Lebensstil, sollten bei der Bestimmung des Testosteronspiegels einige Dinge beachtet werden.
Kurzfristige Schwankungen
Kurzfristige Schwankungen im Testosteronspiegel sind vor allem für den Zeitpunkt der Probenentnahme wichtig. Da der Testosteronspiegel wie zuvor beschrieben einer zirkadianen Rhythmik unterliegt, wird die Blutprobe für die Spiegelbestimmung normalerweise in den frühen Morgenstunden abgenommen, wenn die Testosteronwerte am höchsten sind (Brambilla et al., 2009). Alle weiteren Testungen sollten möglichst zur gleichen Tageszeit erfolgen, um eine gute Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
Mittelfristige Schwankungen
Mittelfristige Schwankungen, zum Beispiel durch Stress oder Schlafmangel, können den basalen Testosteronspiegel vorübergehend verändern. Eine einmalige Messung des Testosteronspiegels bietet also nur eine Momentaufnahme, die möglicherweise nicht die tatsächliche hormonelle Landschaft widerspiegelt. Multiple Bluttests bieten dagegen ein dynamisches und umfassendes Bild des Hormonstatus und sind somit entscheidend für eine korrekte Diagnose und die anschließende Behandlungsplanung. Zur Diagnosestellung eines Hypogonadismus ist deshalb bei einem auffälligen ersten Testergebnis immer ein zweiter Test notwendig, um die Diagnose zu bestätigen (Bassil et al., 2009). In unserem Blogpost „Du überlegst Deinen Testosteronspiegel zu testen: Deshalb benötigst Du mehrere Bluttests“ erhältst du weitere Informationen zu diesem Thema.
Langfristige Schwankungen
Wie bereits erwähnt, kann sowohl ein ungesunder Lebensstil, Begleiterkrankungen, und das Alter zu einem langfristig niedrigeren Testosteronspiegel bis hin zu einem manifesten Mangel führen. Dies ist insofern relevant, weil viele Männer gar nicht vermuten, von einem Testosteronmangel betroffen zu sein, insbesondere wenn dieser sich schleichend einstellt und Symptome als Alterserscheinungen interpretiert werden. Deshalb ist es sinnvoll, bei Symptomen, die auf einen Mangel hindeuten könnten, den Testosteronspiegel bestimmen zu lassen, um einen Mangel auszuschließen oder bei Bedarf behandeln zu können (Traish et al., 2011).
Unser Fazit, Dein Wissen
Schwankungen des Testosteronspiegels können durch verschiedene Faktoren wie den zirkadianen Rhythmus, Alter, Lebensstil und Begleiterkrankungen entstehen. Diese Schwankungen haben weitreichende Auswirkungen auf die körperliche, psychische und sexuelle Gesundheit. Eine präzise Diagnostik ist entscheidend, um die Ursache von Symptomen zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Messung des Testosteronspiegels sollte stets unter Berücksichtigung der natürlichen Schwankungen und individuellen Unterschiede erfolgen. Mehrfache Bluttests, idealerweise zur gleichen Tageszeit, sind notwendig, um ein umfassendes Bild des hormonellen Status zu erhalten und eine fundierte Diagnose stellen zu können.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Verständnis der Höhen und Tiefen des Testosteronspiegels eine wichtige Grundlage für die Förderung der Männergesundheit darstellt. Durch Bewusstsein und frühzeitige Diagnostik können Männer proaktive Schritte unternehmen, um ihre hormonelle Balance zu unterstützen und ihr Wohlbefinden nachhaltig zu verbessern. Mit diesen Erkenntnissen hoffen wir, Dir ein besseres Verständnis für die Bedeutung des Testosteronspiegels und seine Auswirkungen auf Deine Gesundheit vermittelt zu haben. Nutze dieses Wissen, um Deine Gesundheit aktiv zu gestalten und bei Bedarf professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.